Dienstags bei Morrie

Das Buch hat Hilde beim Aufräumen gefunden, wie sie erzählte, und beinahe wäre es den Weg allen Irdischen gegangen. Doch dann hat sie es gelesen.

Es handelt von einem an ALS erkrankten Professor und dessen ehemaligem Schüler, der ihn durch Zufall im Fernsehen entdeckt und ihn von da an jeden Dienstag besucht.

Bei diesen Besuchen philosophieren sie über das Leben und den Tod. Und daraus ist dann letztlich das Buch entstanden.

 

Das hat mich auch interessiert. Und so habe ich es mir auf meine Kindle-App geladen und gelesen.

Es ist noch nicht fertig gelesen, aber ich kann schon sagen, dass es ein gutes Buch ist. Hilde meinte, sie würde mich in vielen Dingen, die der Professor sagt, wiedererkennen.

Mag sein

In einigen bestimmt.

Er strebt nicht nach Materiellem. Dem schließe ich mich an. Ich habe schon vor meiner Krankheit erkannt, dass höher, weiter, besser, mein Haus, mein Auto, mein Schiff kein Garant für Zufriedenheit ist. Es ist eine Zeit lang toll und dann macht man sich auf die Suche nach der nächsten Befriedigung, dem nächsten Erfolg. Wirklich bleibend ist da nichts. Ein Auto macht einen nicht glücklich. Jedenfalls nicht dauerhaft.

Aktuell freue ich mich über scheinbar völlig profane Dinge.

Dass Thomas mir ein warmes Dinkelkissen abends im Bett auf den Bauch legt, weil ich sonst immer so friere. Dass er sich die Mühe macht, x-mal meine Decke hin und her zu heben und zu schieben, bis sie eben nicht mehr auf die Zehen drückt.

Dass er und auch die Kinder immer da sind um mir zu helfen. Ich keine Angst haben muss, in meiner Bewegungslosigkeit hilflos rumzuliegen.

Alles aufzuzählen ist zuviel, aber es ist ein großes Glück, die drei in meinem Leben zu haben. Und nicht mit Gold aufzuwiegen.

Auf mein "Danke" kommt von Pascal fast immer ein "liiiiieeebend gern", das auf dem ersten Blick auch ironisch gemeint sein könnte.

Aber als ich ihm einmal sagte: "Du ich bin Dir wirklich dankbar.", sagte er: "Und ich mache es wirklich gern." Wisst ihr, das ist Glück. Und hat mich sehr gerührt.

Auch meint Morrie, dass es ihm reicht, aus dem Fenster zu sehen. Er müsse nicht in weit entfernte Länder reisen.

Warum auch immer er in einem Sessel sitzt, abgepolstert mit Kissen und nicht in einem E-Rolli, so wie ich, er ist dort in seinem Sessel zufrieden.

Und ich in meinem Rolli. Ich kann mich in verschiedene Positionen begeben, ein Segen, wenn die Luft eng wird.

Und auch ich muss nicht durch die Welt reisen.

An die Decke starren hat tatsächlich etwas Meditatives, wenn es freiwillig geschieht. Im Nachhinein betrachtet, ist es schade, dass mir erst diese Menge körperlicher Fähigkeiten flöten gehen mussten, bis ich den Wert des Starrens und Sinnierens erkennen konnte. Wäre auch nicht schlimm, nach dem Starren einfach aufzustehen und mit seinem Leben weiterzumachen. Gut, ich schiebe mich in die Sitzposition. Nicht das Gleiche, aber es ist wie es ist.

 

Die Hunderunden reichen mir als Ausflüge. Danach freue ich mich wieder auf mein Zuhause. Es sind die Vorgaben der Gesellschaft, die einem vorgaukeln, dass man was verpasst, wenn man in seiner kleinen Welt bleibt. Mir fehlt nix.

Wo ich ganz anders als Morrie bin, ist in den sozialen Kontakten. Sein Haus ist ständig voll, er bekommt Besuch, Briefe, Anrufe und genießt es trotz seiner zunehmenden Schwäche.

Wäre mir zuviel. Ich mag die Ruhe in meinem Heim. Anrufe beantworten ist recht anstrengend, schreiben geht.

Mich viel unterhalten ist auch anstrengend. Mal Besuche zu erhalten ist schön, ständig wäre es mir zuviel.

Wo ich wieder mit ihm übereinstimme ist, dass er sagt, er möchte trotz seiner Krankheit weiterhin als Ratgeber geschätzt werden. Ich auch. Es ist total doof, nun geschont zu werden.

Sonst kamen Leute, beklagten sich über dies und das und ich konnte Ratschläge erteilen. Kann ich immer noch. Aber viele Menschen wollen mich nun nicht mehr mit ihren Problemen "belasten". Was totaler Quatsch ist. Ich mag es zu diskutieren und zu philosophieren.

Statt dessen bekomme ich gute Ratschläge. Auch ungefragt.

 

Es hat ein Perspektivwechsel stattgefunden. Ich bin krank, also muss ich geschont werden. Das gefällt mir nicht. Gespräche auf Augenhöhe, die wünsche ich mir. Auch im Rolli und atemlos. Denn ich habe nach wie vor einen wachen Verstand und eine sehr gute Beobachtungsgabe. Und ich kann sagen, wenn ich Schonung benötige.

Was er auch anspricht und dem ich zustimme, ist, dass man sich von seinen Ängsten distanzieren sollte.

In dem Sinne, dass man sie sehr wohl akzeptiert und erkennt und sie wahrnimmt. Dann aber sagt: "Das ist nur meine Angst." Und dann weiter macht. In der Gegenwart bleibt. Das mache ich auch schon seit vielen Jahren. Ich beneide die Gesunden um ihr Laufen, denke darüber nach, was ich wohl alles machen würde, wenn ich das nochmal könnte. Und dann mache ich mit meinem Leben weiter.

Oder ich lass die Angst vorbei kommen. Die Sorge, wie sich wohl alles entwickeln wird. Aber dann sage ich mir, es wird schon gut gehen. Wie auch immer das aussehen wird.

Und kann positiv weiter machen. Ohne mich ständig zu sorgen

Und, ohne spoilern, ich denke, das Ende des Buches ist klar. Auch das sieht Morrie wie ich.

"Jeder muss sterben. Du auch", sagt er zu seinem Schüler. "Auch wenn Du es nicht wahrhaben willst."

 

Jeder meint irgendwie er sei unsterblich. Und sieht den Tod nur bei den Kranken. Aber hier kommt keiner lebend raus.

Wichtig ist, was man in der Zeit gemacht hat, bis es soweit ist.

Ich möchte nicht um jeden Preis alt werden, sondern so leben, dass ich es auch als lebenswert empfinde.

Stimmt Hilde. Morrie und ich haben viel gemeinsam.




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