Da war es wieder.
Das Gefühl, wenn sich einem die Nackenhaare aufstellen. Auf Facebook teilt eine Bekannte einen Bericht über Models.
"Bewundernswert", schreibt sie. Hm. Was ist an Models denn bewundernswert?
Ah!
Das sind keine "normalen" Models!
Es sind Models mit Handicap. Es fehlen ein oder beide Beine, ein Arm, eine sitzt im Rollstuhl.
Der Artikel selber ist recht sachlich, wie ich finde. Ihre Erkrankung wird erklärt und dass sie dennoch die Modelkarriere angestrebt haben und nun erfolgreich als solche arbeiten.
Was mich ärgert ist die Aussage derjenigen, die es teilt, dass sie es "bewundernswert" findet.
WARUM?
Wie wirkt diese Aussage auf mich?
So, dass es halt nicht normal ist.
Es sind darunter Kommentare zu lesen wie "Ich ziehe den Hut vor Menschen, die sich trotz Handicap nicht aufgeben, und die stark genug sind, ihr Schicksal anzunehmen! 👍"
Ja, genau. Toll!
Welche Sichtweise ist das? Die der "Gesunden". Die sich nicht vorstellen können, dass es ganz normal ist, mit einem solchen Handicap zu leben. Dass nicht das Handicap mich einschränkt, sondern die Schranken im Kopf der Mitmenschen. Dass ich nicht bewundert werden will. Dass ich einfach wie alle anderen in der Masse verschwinden möchte und keinen Thron der Achtung anstrebe, auf den ich gehoben werde.
Bewunderung ist für mich in diesem Fall gleichbedeutend mit Ausgrenzung.
Egal, ob es um Models geht, um Menschen, die es im Beruf zu was gebracht haben, um mich, die ihre Erkrankung annimmt und weiterlebt.
Der Horror der Gesunden äußert sich gerne in Aussagen wie: "Ich bewundere Deine Stärke.", "Ich glaube, ich könnte das nicht." "Wie Du das alles schaffst. Respekt!"
Ich weiß, es ist lieb gemeint, aber ich finde es unfassbar nervig.
Hier versucht sich ein Gesunder in eine Situation reinzudenken, in die er sich überhaupt nicht reinversetzen kann.
Und da er sie für sich als belastend empfindet, muss sie ja auch für den Betroffenen belastend sein. Und jeden Tag mit einer solchen Belastung zu leben... Was für eine Leistung! Bewundernswert! Hut ab!
Ein weiterer schrieb:
"... Es gibt genug Menschen die sich nach solchen Schicksalschlägen einfach aufgeben."
Ja, gibt es. Aber dazu muss mir kein Bein fehlen.
Menschen werden in Depressionen gerissen. Und wenn sie das Pech haben, dabei völlig gesund zu sein, ohne ein nach außen sichtbares Handicap, haben sie gerne schon mal Pech.
Denn die dürfen sich dann anhören, dass sie doch froh sein können. Sie sind gesund! Warum die trübe Stimmung?
Wo ist denn da die Bewunderung, wenn Sie sich trotz bleischwerer Glieder und schwarzer Gedanken durch den Tag gekämpft haben? Da kommt keiner und sagt, wie bewundernswert es ist, dass sie sich täglich neu dieser Herausforderung stellen. Ganz im Gegenteil.
Was ich damit sagen will:
Hört auf zu bewerten.
Mir geht es schlechter wenn ich höre, dass ich ein Vorbild bin. Denn das sagt mir, dass ich ein ganz armes Schwein bin, das sich dennoch nicht unterkriegen lässt. Billigt mir zu, dass ich mein Leben einfach lebe. Dass ich Sachen nicht kann, aber das akzeptiert habe und entsprechend damit umgehe.
Dass ich euer Elend, das Ihr auf Grund Eurer Gedanken empfindet, und auf mich projiziert, nicht spüren möchte.
Und auch keine Bewunderung will. Ob es den Models ähnlich geht? Wahrscheinlich. Aber ich werde mich hüten, für sie zu sprechen.
Nur der Mensch selber weiß, wie er sich fühlt. Kein anderer.
Toll wäre, wenn mein Handicap nicht der bewundernswerte Teil des Miteinanders wäre.
Das klappt in meiner Familie hervorragend, auf der Arbeit auch. Ebenso bei meinen Assistenzgebern, dem Pflegedienst.
Hier bin ich Mama, Ehefrau, Klärbär, Arbeitgeber.
Im Freundes-und Bekanntenkreis und bei Menschen, die mir neu begegnen, sind die Schwingungen anders.
Ich sehe die Blicke, spüre die Bestürzung darüber, dass ich "So krank" bin.
Und erlebe die teilweise hilflosen Versuche, Normalität zu spielen.
Und da es nicht authentisch ist, ist es halt keine Normalität.
Und da ich mit guten Antennen ausgestattet bin, ist diese Situation für mich anstrengend. Denn ich möchte denjenigen nicht vor den Kopf stoßen. Würde ihn aber sehr gerne fragen: "Wo ist dein Problem?"
Und so spiele ich das Spiel mit, mache eine gute Miene und wünsche mir, dass die Situation endet.
Was kann man tun?
Ich glaube, ein guter Weg wäre, bei sich zu bleiben. Nicht zu versuchen, sich in die Person hineinversetzen zu wollen. Das geht eh nicht.
Sich abgrenzen. Selbst wenn ihr es als Elend empfindet. Es ist seines, nicht eures.
Wenn ihr hilflos seid, gebt es zu. Ein Gespräch, das mit "Ich weiß grade nicht, wie ich mit Dir umgehen soll...", beginnt, hat Potenzial! Es lädt ein zu Offenheit, Ehrlichkeit und Authenzität.
Jeder kann seine Befindlichkeiten darlegen und so dem anderen helfen zu verstehen. Das führt zu der Normalität im Umgang miteinander, die ich mir so sehr wünsche.
Macht mich nicht zum bedauernswerten Würstchen.
Dankeschön.
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