Eingeschlossen

Ups, Näschen juckt! 

Mal eben mit der Hand drüber. Wieder gut!

Höschen zwickt. Mal eben dran gezupft. Sitzt!

Der Fuß liegt blöd. Macht nix. Eben mal angehoben, gedreht. Passt.

Wenn das einige eurer heutigen Erlebnisse waren, habt ihr Eines nicht.

 

Ein Locked-in-Syndrom.

Aus Wikipedia: "Das Locked-in-Syndrom bezeichnet einen Zustand, in dem ein Mensch zwar bei Bewusstsein, jedoch körperlich fast vollständig gelähmt und unfähig ist, sich sprachlich oder durch Bewegungen verständlich zu machen."

Geil oder?

 

Eine Krankheit wie ALS hat sowas im Angebot. Man muss nur lange genug durchhalten. Selten schafft man es aber ohne medizinische Unterstützung diesen Zustand zu erlangen. Man sollte schon bereit sein, sich per PEG-Sonde ernähren und per Tracheostoma mit dem nötigen Atem versorgen zu lassen.

Dann steht diesem Bewusstseins-erweiterndem Erlebnis nichts mehr im Wege. 👍

Dann darf man 24 Stunden am Tag fremdbestimmt sitzen oder liegen, stehen eher weniger, gehen auf keinen Fall.

Man kann die Decke anstarren, fernsehen, ein Hörbuch hören (ja, hören bleibt erhalten), wird vielleicht spazieren gefahren, darf vielleicht sogar noch auf Reisen gehen (selbst wenn man es gar nicht will)  und ist zu 100% auf andere Menschen angewiesen.

Die einem hoffentlich wohlgesonnen sind.

 

Ich rede hier nicht von den Menschen, die zumindest noch mit Hilfe ihrer Augen einen Sprachcomputer bedienen können.

Ich rede von denen, die gar nichts mehr können, vielleicht noch nicht mal mehr ihre Augenlider heben oder senken und so ihre Augen mit Tränenflüssigkeit versorgen.

 Ausgetrocknete Augen sehen nicht schön aus. Und gesund ist das auch nicht. Und es tut weh. Und es macht blind. Dann fällt fernsehen auch weg. Decke anstarren übrigens auch. 

Hörbuch geht. 🎧

Für mich gehört zu dem Bild Locked-In:

Schmerzen haben und nicht davon erzählen können, nicht um ein Schmerzmittel bitten können. Nicht darum bitten können, dieses verflixte Bein, das grade das andere abdrückt, umzulagern, den Juckreiz eines Mückenstichs auszuhalten. Sich nicht einen Millimeter drehen zu können, um wenigstens etwas gemütlicher zu liegen. Perfide? Auf Dauer sicherlich nicht.

 

Dennoch entscheiden sich Menschen zu einer solchen lebensverlängernden Maßnahme.

(Manchmal entscheiden dies aber auch die Angehörigen, in Ermangelung einer vorhandenen Willenserklärung in Form einer Patientenverfügung. ALS ist schließlich nicht die einzige Krankheit, die ein Locked-In-Syndrom im Gepäck hat. Ein schnöder Unfall tut's auch.)

Wer es für sich entscheidet, tut das wahrscheinlich aus dem Zustand heraus, in dem sie/er sich noch artikulieren kann. Später ist mit Entscheiden Essig. Zumindest mit deren Mitteilung. Auch mit der Rücknahme der Entscheidung. Entscheiden kannste weiter, dein Bewusstsein ist ja voll da. Allein an der Mitteilung haperts dann. 🤐

Stimmt, man kann in einer von der Charité verfassten Patientenverfügung im Vorhinein festlegen, wann man auch Locked in ausgeloggt werden möchte. Ich hoffe, dass weiß man vorher alles genau. Erleben tut man es ja erst später. Wäre mir zu heikel.

 

Von denen, die sich für das Rundum-Paket entscheiden, lese ich Sachen wie:

  • "Möchte alles ausschöpfen um so lange wie möglich bei der Familie zu sein."
  • "Möchte so lange wie möglich am Leben bleiben um vielleicht doch noch Heilung zu erfahren."
  • "Ich kämpfe bis zum Schluß"
  • "Ich gebe nicht auf"

Dazu habe ich folgende Gedanken:

  • Bereichere ich meine Familie damit, dass ich ihr meine Hülle zur Pflege liegen lasse? Oder belaste ich sie vielmehr? Nehme ich ihnen nicht auch eine schwere Bürde ab, indem ICH entscheide, wann gut ist?
  • Ich bezweifle, dass sich in den nächsten Jahren etwas auftut, dass nicht nur die Krankheit stoppt, sondern sie tatsächlich heilt. Und sogar so schwer Erkrankte, wie die Locked-in-Leute wieder genesen lässt. Nachdem sich seit Jahrzehnten so gut wie nix tut auf dem Gebiet. So lange lebt wahrscheinlich noch nicht mal ein rundum-versorgter ALS-Patient. 
  • Ich kämpfe lieber für etwas, als gegen etwas. Für Hilfsmittel, z.B., die mich beim aktiven (!) Leben unterstützen. Ich kämpfe nicht gegen die Krankheit.  Ich glaube mit der Einstellung bin ich ziemlich allein. Ich lebe mit ihr. Kampf ist Energieverschwendung.
  • Ich gebe auch nicht auf. Jeder Tag hat etwas Schönes. Aber ich beurteile meine Situation gerne neu. Und passe meine Ziele an. Auch die des Weiterlebens um jeden Preis oder des friedlichen Gehen-Dürfens.

Aus gegebenem Anlaß habe ich mich mehr als einmal mit der Frage beschäftigt, was ich mir vorstellen kann. Wie weit ich mich medizinisch unterstützen lassen möchte um wie lange unter welchen Umständen weiterleben zu können/dürfen/müssen.

Ich liebe mein Leben. Ich liebe es auch jetzt, da es anders läuft, als ich es mir vor einigen Jahren noch vorgestellt habe.

Und ich liebe meine Familie, mein Zuhause, meine Freunde, meine Tiere, alles was mich ausmacht.

Ich lebe wirklich gern.

Aber nicht um jeden Preis.

 

Von heutiger Warte aus betrachtet würde ich dann gerne abtreten, wenn mein Leben nicht mehr mir entspricht. Wenn ich nicht mehr die sein kann, die ich vom Geist her zwar noch bin, es aber nicht mehr ausdrücken kann.

Ich glaube, man kann sich nur begrenzt vorstellen, wie es ist, wirklich nichts anderes mehr zu können, als zu denken, pinkeln und ka...  ...lassen wir das.

 

Und ich würde gerne einen eingelockten Menschen einmal fragen, ob es das ist, was er sich vorgestellt hat und ob er wieder so entscheiden würde.

Und ich würde die Antwort sehr gerne nur von ihm hören und nicht von den Menschen, die ihn pflegen und ein Zucken der Mundwinkel zu einem Aufsatz interpretieren und genau wissen, was er grade denkt und sagen wollen würde.

Diese Leistung vermag man noch nicht mal zu bewerkstelligen, wenn man mit einem Menschen zusammen lebt, der alles kann. (Wider-)sprechen, Wünsche äußern, Forderungen stellen, diskutieren.

Wenn das so einfach wäre, würde es keinerlei Mißverständnisse zwischen den Menschen geben.

Gibt es aber. Trotz Kommunikation.

Und dann wollen sie mir erklären, ab dem Moment, wo er/sie all dessen beraubt ist, könne man es plötzlich? Man weiß genau, was derjenige grade erbittet? Liest es ihm also alles quasi von den Augen ab? 

Ein Wunder!

(Warum klappt das dann und nicht schon vorher? Wir könnten ab sofort alle auf Kommunikation verzichten, müssen uns nur noch anschauen.)

Wenn ich erlebe, wie vieler Worte (Anweisungen) es bedarf, bis ein lieber Helfer mich so hingesetzt/-gelegt hat, dass ich mich wohlfühle, erschließt es sich mir nicht, wie das plötzlich nonverbal 1a klappen könnte.

Ich kann mich dann halt nur nicht mehr wehren. Kann man auch als Zustimmung deuten. 😏

 

Fragt man die, die pflegen, hört man das genaue Gegenteil.

Was wirklich stimmt. Ich werde es nicht herausfinden. Darum verzichte ich dankend auf einen Selbstversuch.

 

In Momenten, wo es mir wichtig ist, meine Meinung kund zu tun, finde ich es schon jetzt ganz schön scheiße, wenn die Stimme kippt, ich mich anhöre, als wäre ich den Tränen nahe, nur weil ich etwas aufgeregt bin, oder mir die Luft wegbleibt, weil ich mehr rede als atme.

Das ist dann echt ein Handicap, so wie nicht-aufstehen-können.

Aber sie ist (noch?) da, meine Sprache.

Und sollte die gehen, werde ich von mir und denen, denen ich wichtig bin, erwarten, dass ich und sie die Geduld aufbringen, abzuwarten, was ich zu sagen habe. Und sei es mit Hilfe eines Sprachcomputers.

Aber das möchte ich nur machen, wenn ich körperlich noch fit genug bin.

Ich kann mir auch vorstellen, eine Atemmaske (das ist was anderes als invasive Beatmung) zu verwenden, wenn mir die Luft knapp wird. 

Ob ich eine PEG legen lassen würde, wenn ich nicht mehr schlucken kann, kann ich tatsächlich von heute aus betrachtet nicht beantworten. Da müsste alles andere noch so gut sein, dass ich noch keine Lust hätte, nur deshalb zu verenden, weil das Schlucken Probleme bereitet.

Ich müsste also noch mein Leben haben. Dinge noch selbstständig, wenn auch mit Unterstützung, können. Mit den Hunden gehen können, mit der Familie leben, Freunde treffen, abends vor dem Fernseher sitzen. Und mich wenigstens dabei noch einigermaßen verständlich machen können. Meine Wünsche und Meinungen artikulieren können. Mich mitteilen.

 

Definitiv hört es für mich da auf, wo ich mich künstlich beatmen lassen soll.

Wenn die Krankheit irgendwann den Verlauf nehmen sollte, dass dies im Raum steht, wäre ich raus. Ist dann vielleicht ein guter Moment, die Lebensverlängerung gegen die Palliativ-Medizin zu tauschen. Zugedröhnt ins Himmelreich. Das ist eher mein Weg.

 

Ich bin sicher, ich werde die richtigen Entscheidungen treffen. Dann wenn sie dran sind.

Vorher werde ich keine endgültigen Entscheidungen treffen (können), aber Ideen dazu habe ich.

Aus dem Grund werde ich genau betrachten wie es weiter geht. Und Schritt für Schritt entscheiden, wie ich mir helfen lassen will. Und womit.

Aber ich werde nicht eingelockt der Welt beim Drehen zusehen. Nope, da bin ich raus.

 

Aber wer weiß. Vielleicht werde ich auch vorher von nem Bus überrollt.

 

Und ihr so?

Vielleicht mögt ihr auch mal kurz drüber nachdenken, was ihr wollt? Und das vielleicht auch mal zu Papier bringen?

Nur für den Fall... ?

Hab gehört, der Tod trifft nicht nur ALS-Patienten... da wäre es vielleicht für alle ganz gut, den Weg dorthin einigermaßen gut überlegt zu bestimmen.

Aber Ihr habt ja noch viiiiieeeel Zeit, ne?!

... Oder? 😜



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Kommentare: 3
  • #1

    Jens (Sonntag, 16 September 2018 18:36)

    lieben Dank für deine offenen Worte

  • #2

    Gudrun (Sonntag, 16 September 2018 19:47)

    Liebe Michaela, ich hoffe, dass du noch möglichst lange mit Hilfsmitteln selbstbestimmt leben kannst und die Tage für dich auch noch schön sind. Ich hoffe, dass du auch selbst bestimmt gehen kannst, mit Hilfe der Palliativmedizin. Die Natur hat da ja Ihre eigenen Grenzen und manchmal ist es gut, wenn man sie lässt. Ich glaube , ich möchte nicht "eingelockt" sein.
    Mein Vater hat seinen Schlaganfall nicht überlebt und meine Mutter ist gestorben, bevor ich entscheiden musste, ob sie künstlich ernährt wird. Es war gut in beiden Fällen, dass sie zu diesem Zeitpunkten gegangen sind.
    Das sind meine Gedanken zu dem Thema.

  • #3

    Esther (Montag, 17 September 2018 19:40)

    Ich bin absolut sicher nicht locked-in sein zu wollen. Ich komme ja jetzt schon kaum damit klar, anderen beim „Drehen“ zusehen zu müssen. Ich kann nicht mehr sprechen und laufen nur mit Hilfe und habe eine PEG, nicht weil ich nicht schlucken kann aber das Kauen ist kaum mehr möglich. Ich werde irgendwann, wenn ich genug vom Leben habe, meine Nahrung einstellen. So bin ich.