Eine meiner Aussagen in Richtung Paule, den ich jetzt einfach mal so nenne. Bei dem werde ich noch zum Poeten.
Seines Zeichens 24-Stunden-Pflegekraft aus Polen.
Also, angeblich.
Gesagt habe ich das, als er mir beim Anziehen half und mir fast die Luft abschnürte. Auf mein "Hey, nicht so fest!", brachte er an, dass er beim Bau gearbeitet habe. Ach so, ja, klar, wie alle Pflegekräfte halt, gehört ja eigentlich zur Grundausbildung.
Wenn ich an 24-Stunden-Pflegekraft denke, fällt mir Paule als letztes ein.
Da wäre der erste in der Reihe Thompson.
Der, wenn er nicht grade arbeiten geht, ständig für mich verfügbar ist. Dem ich in seinem, nun schon vergangenen Urlaub, einen Gefallen tun konnte, indem ich mich vom Pflegedienst (hoch lebe er!) habe morgens versorgen lassen, damit er das nicht auch noch machen muss. Morgens aus dem Bett, aufs Klo, Brot schmieren (Nein, nicht auf'm Klo, obwohl böse Zungen dies schon mal vorgeschlagen haben 🤔),
Milch hinstellen, Tabletten... Klo... (ja, genau, darum der Vorschlag), Rolli-Wechsel und was mir noch so einfällt, bis es abends aufs Sofa geht und später ins Bett, wo ich nachts mindestens einmal drum bitte umgedreht zu werden.
DAS ist eine 24-Std.-Pflegekraft!
Gefolgt von Pascal, der seine Semesterferien zu Hause verbringt und einspringt, wenn Thompson nicht da ist oder ich ihn mal verschonen möchte.
Er ist so der "Kannst du mal eben..."-Mann für alle Fälle.
Kannst du mal eben...
Den Hunden Wasser geben
Mir was bringen
Mir beim Klo helfen
Mich in den anderen Rolli setzen
Den Tisch decken/abdecken
Die Waschmaschine füllen/leeren
Wahlweise Trockner, Spülmaschine
Die Katze rein/rauslassen
Mit den Hunden gehen
Alles Füttern
Mich da oder dort hinfahren...
(Nicht, dass Thompson das nicht alles auch noch machen würde. Steht auch alles auf seiner Agenda)
Und gefolgt von Jacqueline. Deren großes Glück es ist, aktuell nicht zu Hause zu wohnen. Das rettet sie vor mir und kommt dem Gelingen ihrer Bachelor-Arbeit sehr entgegen. Und ich will es nicht anders haben!
Ist sie aber da, dann habe ich Rund-um-die-Uhr Jackelinski-Versorgung. Inklusive Kochen und Begleitung auf Hunderunden.
Sie liest mir jeden Wünsch von den Lippen ab, hilft wo sie kann und entlastet so natürlich auch die Herren.
Ja, das sind meine 24-Std.-Pflegekräfte.
Und um die zu entlasten, kam mir der Gedanke, dass wir uns eine Hilfe ins Haus holen.
Eine, die tagsüber alles macht, was ich sonst auf die drei verteile und mich unterstützt, wenn ich unterwegs bin. Sei es Arzt, Physio, Hundeplatz, Arbeiten.
Einen Assistenten, der zumindest an drei Wochentagen diese Aufgaben übernahm hatte ich von März bis August.
Dann entschied er sich aber, in die Selbstständigkeit zu wechseln. So trennten sich unsere Wege.
Ganz alleine zu sein, bedeutete aber auch, nirgends mehr hinzukommen.
Klar, während Urlaub und Semesterferien geht es noch. Aber wenn ich tagsüber komplett alleine bin, ist das schon Essig. Und, sagen wir, wie es ist. Es ist unmöglich. Ich kann mir noch nicht mal ein Glas Wasser holen.
"Mal eben" ein Assistenz-Team aus dem Boden zu stampfen ist aber auch nicht einfach. So entschieden wir uns für den Versuch einer 24-Std.-Kraft aus Polen. Eine Agentur war recht schnell gefunden, eine zweite ebenfalls.
Bei beiden wurde an Hand von Fragebögen mein Bedarf ermittelt. Der war nicht klein. Führerschein, gute Deutschkenntnisse, kräftig, häuslich, tierlieb, Allergie-frei.
Während die eine Agentur schon fürs Suchen kassierte, war die andere Agentur flexibel.
Sie suchte erst.
Die erste schaffte es nach 6 (!) Wochen, mir einen Herrn über 60 anzubieten. Ne Lachnummer. Wenn dies das Ergebnis intensiver Suche war, dann wollte ich einen weiteren Kandidaten gar nicht erst kennenlernen. Dafür wollten Sie tatsächlich 375,- Euro haben. 75,- Euro Aufwandsentschädigung habe ich ihnen zugebilligt und ein entsprechendes Schreiben verfasst, das der zuvor versendeten Kündigung folgte. Bisher kam keine Reaktion.
Die zweite Agentur stellte mir Paule vor.
Laut Fragebogen 52 Jahre alt, sehr gute Deutschkenntnisse, erfahren in der Pflege, Erfahrung bei Patienten mit MS, Parkinson, Alzheimer, Rollstuhlfahrern. Er konnte Kochen, Putzen, Waschen, Bügeln.
Ey, das war er doch! Meine Nanny! 😍
So habe ich ihn gebucht. Start war 01.09.
Am Mittag erschien Paule. Ein gestandenes Mannsbild von über 1,80. Wat Bauch, wat Glatze.
Er kam rein, brachte mit Thomas seine Sachen hoch ins Gästezimmer und setzte sich dann zu uns an den Tisch.
Meine Idee war, man spricht bei einer Tasse Kaffee erstmal alles an, lernt sich kennen. Dann würden wir ihm alles zeigen, er kann sich unsere Gewohnheiten anschauen und nach und nach übernimmt er die Aufgaben. Da Thomas noch Urlaub hatte, war Zeit genug.
15 Minuten später hätte ich ihn am liebsten schon wieder heimgeschickt.
Das erste, was er (in recht gutem Deutsch) erklärte, war, dass ich an charismatische Heiler glauben soll. Dann werde ich auch wieder gesund. Ich muss aber auch wirklich glauben. Er wird mir helfen. Ich muss am 14. September nach Köln fahren, da ist charismatischer Gottesdienst.
LEUTE! Der hatte den Stuhl noch nicht warm gesessen! Wir hatten noch nicht mal den üblichen Smalltalk (Wie war die Fahrt? Wie gehts Ihnen?...) abgespult, da hätten wir ihn am Liebsten schon wieder vor die Tür gesetzt. Er war unglaublich penetrant. Freundlich hörten wir seinem Sermon eine Zeit lang zu. Doch dann versuchten wir uns da rauszuwinden. Mittlerweile war Jackson angekommen, so starteten wir zu einer Hunderunde.
Aber auch dort war nur er am Zug, mit dem Thema, wer wen, wann wo, wie geheilt hatte, dass nur diese Religion die echte sei, und, und und.
Jut, wir sind ja hart im Nehmen.
Beim Abendessen wurde ich deutlicher. Ich sagte ihm, dass er gerne seine Religion leben darf, wir das respektieren, er aber unsere Art zu leben bitte auch respektieren möge. War nicht deutlich genug.
Noch deutlicher wurde ich, als er einen Tag später neben mir stand und sagte, ich solle den Buddha, der auf einer Kommode steht, wegräumen. Weil der schlecht ist. "Der bleibt." "Aber wenn man Heilung von charismatische Gott will..." "Will ich nicht." "Nein?" "Nein. Ich will meine Ruhe." Das schien angekommen zu sein. Jedenfalls war er für den Moment still. Und sprach von da ab nicht mehr mit mir.
Er verbrachte die kommenden Tage weiterhin damit, zu versuchen jeden von uns (außer mich, mich ignorierte er, klar, ich war ja nur seine Arbeitgeberin) zu bekehren, uns davon zu überzeugen, dass alle Religionen schlecht sind, außer seiner, uns vom Gebrauch unserer Mikrowelle abzuraten (die ist so gefährlich, wie ein Atomkraftwerk), er zerrte die Hunde an den Halsbändern zur Seite wenn Sie seiner Meinung nach im Weg standen (warum schnappt Cindy nicht mal, wenn es sich lohnt?) und sprach beim Einkaufen wildfremde Menschen an. Zeigte denen sein Kreuz, das er an der Kette um den Hals trägt und bekehrte auch sie. Da war fremdschämen angesagt.
Ein Traum! 🙈
Das Einzige, was er nicht machte, war Helfen. Klar, er schob mich ungefragt durch das Haus (Hallo! Ich kann das alleine!), erklärte mir, dass es zu gefährlich sei, alleine mit den Hunden unterwegs zu sein ("Ich begleite Sie." " NEIIIN, GANZ SICHER NICHT!"), brachte auch Jackson auf den neuesten Stand, dass es zu gefährlich sei, im Dunkeln raus zu gehen...
Wie bei "Täglich grüßt das Murmeltier" zeigte ich ihm jeden Morgen wo das Futter für Winston hinsollte. Der Napf steht immer an der selben Stelle. Isch schwör! Den Wassernapf fand er auch nicht auf Anhieb. Is auch nicht so einfach.
Aber der Hammer kam, als es darum ging, mich aufs Klo zu heben.
Er hob mich ungelenk und ungeübt, sodass ich beinahe neben dem Klo landete. Thomas, der natürlich dabei war, verhinderte Schlimmeres. Beim nächsten Versuch war Jacqueline dabei. Ich, die eh knapp bei Atem ist, wurde also wieder aus dem Rolli gehoben. Das klappte. Auch das Drehen zum Klo und das Absetzen klappte.
Aber dann...
Bei wirklich allen Helfern, die mich jemals aufs Klo gesetzt haben, sage ich "ok", "ja" oder "gut", wenn ich sitze. Sie lassen mich dann langsam los und ich sitze. Was macht er? Drückt noch mal fester zu, will mich wieder hochheben, drückt dabei auch noch die restliche Luft aus meinen Lungen. Ich konnte grade noch "loslassen" ächzen, aber das interessierte ihn auch nicht. Er war der Meinung, ich sitze nicht gut. Dass ich fast bewusstlos wurde in seinem Griff, merkte er nicht.
Gott sei Dank war Jacqueline da, die ihn fast anschrie, er solle loslassen. Selbst das dauerte noch. Ich war am Ende. Hatte echt vergessen, warum ich aufs Klo musste. Das war das letzte Mal, dass ich ihn an mich rangelassen habe.
Das war furchtbar. Heulen musste ich auch noch. Das half auch nicht wirklich beim Atmen. 🙄 Nach ko... war mir auch, aber auch das wäre kontraproduktiv gewesen.
Wie geht es weiter?
Nach der ersten Beschwerdemail, die ich schon am dritten Tag an die Agentur geschrieben hatte, passierte nichts. Sie hatten mir zwar gesagt, sie würden mit ihm reden, haben sie vielleicht sogar, aber vielleicht nicht in seiner Sprache. Obwohl es ebenfalls Polen sind. Aber Paule kommt ja auch nicht aus Polen, er kommt ja aus "Preußen", lt. seiner Aussage.
Am nächsten Morgen jedenfalls nervte er meine Perle, die für Glanz und Ordnung bei uns sorgt.
Er rannte hinter ihr her, bequatschte sie, wollte sie an den Händen fassen und gemeinsam beten. "Geht schnell, eine Minute." Sie meinte entgeistert, "Aber nicht während der Arbeitszeit."
Und kam dann zu mir um sich nach seinem Geisteszustand zu erkundigen.
Das war genug.
Ich habe die Kündigung rausgeschickt.
Am 20. ist er wieder weg. Spätestens.
Und kommt nie wieder. Bei Gott! 😂
Gleichzeitig habe eine Anzeige veröffentlicht und außerdem Hilfe bei Hilde und Töchterchen Judith gefunden.
Eine Helferin, die ich schon einige Monate kenne, ist nun auch mit im Boot. Und ich habe eine sehr nette junge Frau gefunden, der ich einen 20-Stunden-Vertrag angeboten habe. Außerdem kommt Jackson ab Oktober zur temporären Unterstützung Heim.
Ganz wichtig ist die Bewilligung der Krankenkasse für einen bestimmten Lifter. Wenn ich den endlich habe, benötige ich keine starken Menschen mehr, die mich umheben können. Dann kann es auch eine Elfe. Ich hoffe sehr, dass der Antrag genehmigt wird!
Grundsätzlich hat sich also alles wieder alles zum Guten gewendet. Ab sofort habe ich lauter liebe Menschen um mich, die mir außerdem auch noch helfen.
Vielleicht musste das alles so kommen, damit alles nochmal auf Anfang gesetzt werden konnte.
Denn das Einzige, was mich bisher davon abhielt, einfach solche Menschen, die mir sympathisch sind, als meine Helferlein einzustellen, war, dass es sich meist um weniger kräftige Helferinnen handelt. So habe ich die Zähne zusammen gebissen und mir von Leuten helfen lassen, die es zwar kräftemäßig konnten, aber mir sonst ganz schön auf den Zwirn gingen.
Dazu fehlt mir nun die Lust. Und die Geduld. Und die Luft. Morgen rufe ich die Krankenkasse an und bitte um eine Bewilligung. Bitte schnell!
Für Paule haben wir bis zum Vertragsende auch noch ne Beschäftigung gefunden. Er verputzt die Decke unseres Hauswirtschaftsraumes. Das kann er scheinbar. Und wenn nicht, dann ist es auch egal. Viel kaputt machen kann er nicht.