Ich bin grade von einer wunderschönen Hunderunde zurück.
Sie hat uns fast 8 km durch die Donk geführt. Wenn es dort Minigolf, Eisbüdchen oder nen Spielplatz gäbe, würde man sie "Naherholungsgebiet" nennen. Da sie all das Gott sei Dank nicht hat, ist sie mein Naherholungsgebiet.
Sie besteht zum Teil aus Pferdeweiden und Äckern und zum Teil aus Wald.
Die Wege sind für den Panzer gut zu befahren. Er rumpelt schon mal was, aber langsam gehts immer voran.
Was mir sehr gefällt, ist die Stille dort. An zwei Stellen unter- bzw. überquert man die A 52. Da ist es laut. Sonst nicht.
Die Hunde traben ihrer Wege und ich kullere zwischendrin.
Dies lässt Zeit zum Sinnieren. Heute hatte ich das Thema "Hundeerziehung" in meiner Selbst-Sprechstunde.
Während Cindy ca. die gleiche Strecke gelaufen ist, wie ich, nämlich besagte 8 km, hat Winston wahrscheinlich um die 11 auf der Uhr. Cindy trabt immer in meiner Nähe umher. Mal kurz vor, mal kurz hinter mir, mich immer im Blick habend. Weniger aus Liebe, als vielmehr in der Hoffnung auf Leckereien.
Winston rennt liebend gerne vor.
Was mich auf der Suche nach einem passenden Hundetyp auf den vorderen Kundschafter gebracht hat. Auch wenn er bei Hundebegegnungen nicht ganz so aufgeregt ist, wie in dem Video. "Sprechen" kann er auch. 😎
Und auch der Rest der Beschreibung stimmt:
Vorderer Kundschafter:
- Entscheidungsempfänger!
- Führt den Wächter ( nach " Absprache" mit seinem Leithund)
- Sichert den vorderen Leithund von hinten
- Reaktionsschnell
- Läuft sehr effizient und schnell von A nach B mit einer flachen Körperhaltung
- Läuft oft weit vorne
- Wenig bis fast kein Problem bei Lärm ( Gewitter, Feuerwerk)
- Gut geeignet für Agility/ Mantrailing
- Agiler als der hintere Kundschafter
Relativ unkomplizierter Hund, kann sich aber bei fehlender Führung in den vorderen Leithund beamen dann wird er verhaltensauffällig!
Quelle: https://hundetrainerin-daniela-rueegg.ch/Die-Rudelstellungen/
Winston verschwindet auch schon mal im Maisfeld, galoppiert über's Stoppelfeld und kommt dann aber auch wieder zurück. Und genau das brachte mich zu der Frage, ob ich dieses Vorlaufen eingrenzen muss. Also, immer. Nicht nur, wenn es für ihn oder andere besser, sprich sicherer ist.
Oft höre ich, was "man" am besten tun oder lassen soll.
Man sollte den Hund unter Kontrolle haben.
Man sollte ihn lenken können.
Das hört sich nach wenig an, aber wenn man es aufdröselt, ist das schon ne Menge.
Wie z.B. habe ich einen 20 oder mehr Meter entfernt laufenden Winston unter Kontrolle?
Erstmal gar nicht.
Wir sind ja noch nicht lange ein Team. Und unser Anfang als Team sah so aus, dass ich ihn ableinte, er noch mein "Okay" abwartete und dann war er weg. In gestrecktem Galopp dem Horizont entgegen.
Da hieß es, das Beste hoffen. Und es ist auch immer gut gegangen. Denn auch wenn er selbstständig auf andere Hunde zulief, so ist er ein zurückhaltender, freundlicher Hund, der vor dem anderen stehen bleibt um sich vorzustellen und beschnuppern zu lassen.
Das ist erstmal gut, zumindest besser, als den anderen, der dann womöglich auch noch angeleint ist, umzukegeln.
Aber gut fand ich das auch nicht. Ich mag es nicht, wenn unangeleinte Hunde zu angeleinten rennen. Und nun hatte ich ein solches Exemplar. Hm.
Cindy ist da anders. Sie hatte anfangs regelrechte Angst vor Hunden. Wenn ihr einer in unserer Anfangszeit begegnete, konnte es vorkommen, dass sie ihn unvermittelt angriff. Der andere brauchte da teilweise noch nicht mal zu ihr hin zu gehen. Gab auch so was vor die Mappe. Das war definitiv auch nicht schöner. Aber lange her. Jetzt geht sie fremden Hunden aus dem Weg. Und wenn sie dann doch mal zu ihr kommen, dann lässt sie sogar Schnuppern zu und warnt erstmal, wenn es ihr reicht. Und erst wenn das ignoriert wird, schnappt sie. Legitim, wie ich finde.
Cindy würde ich eher als Wächter einschätzen. Vieles passt aus der Beschreibung des vorderen Wächters. Zumindest in ihrer Anfangszeit war sie genau so. Es wird auch weiter beschrieben, dass, wenn ein solcher Hund Vertrauen zu seinem Halter aufgebaut hat, er ruhiger wird. Das passt auch. Das Alter hilft bestimmt ebenfalls. 😉
Vorderer Wächter:
- Entscheidungsempfänger!
(Beide Wächter werden im konventionellen Training oft als ANGST - AGGRESSIV bezeichnet, was aber so nicht ganz stimmt...)
- beide Wächter haben keine Handlungskompetenz!!!
- Sichert den Zentralhund von vorne (eine der wichtigsten Aufgaben im Rudel!)
- Sehr reaktionsschnell, schnappt schnell zu, kläfft oft hell und laut (Meldepflicht!)
- Körperspannung ist angespannt und die Bewegung ist eher hoch und kurz, auf Wegen läuft er vor und zurück, hin und her
- Geht eine sehr enge Bindung mit seinem Menschen oder Leithund ein.
- setzt sich oft dahin wo er alles im Blick hat ( Fenster, Türe, im Garten an strategisch wichtigen Punkten)
- Allgemein sehr nervös wirkender Hund!
- Ängstlich bis Panisch bei Gewitter/ Feuerwerk
Quelle: https://hundetrainerin-daniela-rueegg.ch/Die-Rudelstellungen/
Ich finde das Thema Rudelstellung super interessant und wenn man es nicht zu hoch hängt, wie leider viele Menschen es getan haben, auch sehr hilfreich im Umgang und Verständnis mit seinem Hund.
Nun wieder zurück zur Erziehung.
Habe ich Cindy diese Änderung im Umgang mit anderen Hunden anerzogen? Nein. Wie auch? Was hätte ich an Erziehungsmaßnahmen gehabt, um dies zu verhindern? Gewalt? Wohl jetzt nicht ganz das richtige Mittel.
Es war viel "einfacher". Ich bin da gewesen. Wenn uns Hunde begegneten, konnte sie sich hinter mich verstecken. Anfangs noch als Fußgänger, später mit Dreirad oder dann mit dem Rolli, bin ich immer auf die Seite gegangen/gerollt, wo der andere Hund war. Und ich habe scheinbar viel richtig gemacht. Denn ich habe, und das wird bei diesem Hundetyp ebenfalls empfohlen, sie ihr Tempo bei unseren Spaziergängen bestimmen lassen. Habe sie schnüffeln lassen bis sie fertig war mit dem Thema, dann ging es weiter. Es heißt ja auch Spaziergang und nicht Spazierflucht.
Und wenn man auch nicht jeden Hund mit seinem Körper abhalten kann, so habe ich ihr doch so gut wie möglich Deckung geboten. Und sie musste es nicht mehr alleine regeln. Nun geht sie selbstständig an meine sichere Seite und hat sehr oft ihre Ruhe. Und wenn nicht, dann hält sie das auch mal aus.
Seit Winston da ist, hat sie noch mehr Ruhe, er kümmert sich bereitwillig um jeden. 😂
Und wie sieht nun meine "Erziehung" bei Winston aus?
Ich baue erstmal eine Verbindung zu ihm auf. Das ist mir in der kurzen Zeit, die wir erst miteinander leben, schon sehr gut gelungen. Eigenlob stinkt. Is trotzdem so. 🤷♀️
Ich beschäftige mich mit ihm. Zuhause mit dem Klicker und Targetstab.
Unterwegs, indem ich mit ihm die Hundeschule bei Daniela besuche, in der wir gemeinsam Alltagsgeschichten erarbeiten und meistern und ich probiere mit ihm Dummytraining bei Lisa aus. Was ihm super viel Spaß macht.
Ende August probieren wir Rallye Obedience. Das könnte ihm auch gefallen. Und, nicht zu vergessen, er soll ja noch mehr Assistenz lernen. Aber eins nach dem anderen, nicht überfordern und nicht überladen. Sonst habe ich nachher einen Hampelmann.
Beim Spaziergang unterwegs "verliere" ich immer mal seinen Ball und ich rufe ihn um ihn suchen zu lassen.
Oder ich rufe ihn, damit er, zusammen mit Cindy, verstreute Leckerchen sucht. Ich rufe ihn und wenn er kommt hat er Spaß. Kein Muss. Belohnung und Lob. Ich lobe ihn mehr als ich ihn korrigiere. Kommen auf Pfiff oder Zuruf soll gerne geschehen. Umso zuverlässiger klappt es dann auch, wenn es geschehen MUSS.
Und das alles nicht in einer Tour, sondern immer mal. Will heißen, er wird nicht rundum beschäftigt. Zuhause üben wir mal ein paar Minuten, dann ist wieder Schicht und er legt sich hin und schläft. Unterwegs rufe ich ihn mal, dann hat er wieder frei.
Aber WENN ich etwas von ihm möchte, dann muss er es auch ausführen. Da bleibe ich konsequent.
Besser er lernt nicht, wie wenig Einfluss ich auf ihn nehmen kann. 😉
Winston kann überall schlafen. Am liebsten in meiner Nähe.
Draußen lasse ich ihn auch einfach laufen. Unseren Spaziergang erkunden. Auf seine Weise. In seinem Tempo und in seinem Radius. Und wenn es mal 20, 30, ... Meter sind, dann ist das auch o.k. Er kommt selbständig zurück. Das musste ich ausprobieren und auch aushalten, aber es hat sich aber bewahrheitet. Er verlässt mich nicht für immer. Und auch auf die Gefahr hin, dass er ein Häschen oder einen Hund zuerst sieht. Dann isser halt mal weg. Und dann muss ich mich schlimmstenfalls bei dem anderen Hundehalter entschuldigen, dass er ungefragt dessen Hund begrüßt hat. Er frisst ihn ja nicht. (bei Hasen und Katzen musste ich das noch nie, denn er bringt sie nicht mit, vielleicht, weil er die direkt frisst 😱).
Wenn ich weiß, dass ich keine Chance auf Rückruf habe, spare ich mir den Pfiff. So lernt er nicht, dass er nicht kommen muss. Habe ich eine kleine Chance auf sein Kommen, pfeiffe ich. Auch 2 oder 3x.
Er kommt dann angerannt, wird doll gelobt und es gibt Leberwurst aus der Tube. Fast so lecker wie Hase.
Wenn ich nicht sicher bin, dass "Aussetzer" gefahrlos möglich sind, leine ich ihn an. Das ist in meinen Augen besser, als ihn stets und ständig zu rufen, zu ermahnen und mich aufzuregen. Wenn ich Angst habe, dann merkt er das. Also nehme ich mit dem Anleinen die Anspannung raus. Und wir laufen entspannt weiter.
Souverän bleiben. Das ist mein Wunsch. Und das kann ich nur, wenn ich entspannt bin. In einem Feld neben einer Schnellstraße bin ich das mit einem unangeleinten Winston nicht. Mit einer unangeleinten Cindy übrigens schon. Aber wir kennen uns ja auch schon was länger. 😉
Ich gebe ihm Vertrauensvorschuss. Ich bin positiv eingestellt und halte es aus, dass ich ihn grade nicht komplett unter Kontrolle habe.
Und wenn ich ihn dann Anleinen muss, ist das auch nicht schlimm, denn jedem Anleinen folgt ein Ableinen. Früher oder später. Ich brauche ihm die Retriever-Leine nur hinzuhalten. Er steckt ruck-zuck seinen Kopf rein. Cindy kommt ebenfalls zum Anleinen zu mir und bleibt ganz still stehen bis ich es geschafft habe.
Viel davon ist ganz sicher Vorarbeit von Winstons toller Züchterin gewesen. Er war schon ein erzogener Hund als er zu uns kam.
Dazu gibt es gute Tipps von meiner Hundetrainerin, gute von diversen anderen "Hundeflüstern", die das Internet und Ratgeber so hergeben. Ich höre, sehe und lese mir Vieles an. Und picke mir das raus, was ich gut und nachvollziehbar finde.
Und so baue ich unseren Weg auf. Mit Erfolg, über den ich mich sehr freue. Und ich gewinne das Selbstbewusstsein, auch mal zu sagen, wenn ich den ein oder anderen Tipp nicht gut finde und darum nicht umsetzen werde.
So werden unsere Spaziergänge immer entspannter. Ich bin nicht mehr in Hab-acht-Stellung wenn er frei läuft. Ich habe mich daran gewöhnt, dass ich den Rückruf-Pfiff auch manchmal 2 oder 3x benutzen muss, bis er dann wirklich von etwas ganz Interessantem ablässt und kommt. Aber ich gewinne immer mehr Zuversicht und Sicherheit.
So hat er größtmöglichen Freiraum, kann rennen und schnuppern, seine Welt erkunden und ich kann während unserer Spaziergänge sinnieren.
Denn die meiste Zeit unserer Strecke bin ich
...still.
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