Wie möchtet Ihr nicht leben?
Möchtet ihr mit einem Leiden leben? Mit welchem? Und wie schlimm darf es sein, dass ihr es noch als "lebenswertes Leiden" empfindet?
Möchtet ihr im Rollstuhl leben? Als Blinder? Als Gehörloser, als Dementer, als Spastiker, als Epileptiker, als...?
Wann ist bei Euch der Moment erreicht, in dem Ihr sagt: "So möchte ich nicht leben."?
Die Frage kam mir in den Sinn, als ich die Doku "...unter Vergesslichen" aus der Reihe "7 Tage" gesehen habe. Diesmal war die Reporterin Donya Farahani in einer WG, in der demente alte Menschen zusammen leben. Eine sehr interessante Doku, wie ich finde. Im Laufe der Sendung kommt halt bei ihr die Frage auf, ob sie so leben wollen würde. Nicht mehr zu wissen, was war, was ist. Seine Kinder nicht mehr zu erkennen, all das, was Demenz ausmacht. Sie ist da recht resolut und entscheidet für sich, dass sie so nicht leben möchte.
Kennt ihr das auch? Ihr seht einen Menschen, es zieht sich bei Euch alles zusammen, wenn ihr daran denkt, dass euch sein "Schicksal" auch ereilen könnte und der Gedanke ist da: "So möchte ich nicht leben."
Ich hatte das Witzigerweise, als ich noch vollkommen gesund war und Stephen Hawkin gesehen habe. Der sich gar nicht mehr bewegen kann. Der nach einem Luftröhrenschnitt in jungen Jahren nicht mehr sprechen kann und sich da schon mit Hilfe eines Augengesteuerten Computers, (der anfangs nichts anderes war, als eine Tafel, deren Buchstaben er aussuchte und so Sätze komponierte) verständlich machte. Die Technik ist nun natürlich weitaus ausgefeilter.
(Wer über dessen Leben mehr wissen möchte, dem empfehle ich den Film "die Entdeckung der Unendlichkeit". Er hat mir sehr gefallen.)
Und diesen Stephen Hawkin sah ich vor Jahren mal im Fernsehen und meinte zu Thompson: "Hilfe, so möchte ich nicht leben! Wie furchtbar!"
Die gute Nachricht: Es geht immer weiter. Jetzt, wo ich etwas näher an einem solchen Szenario lebe, ist das bei weitem nicht mehr so erschreckend, wie es war, als ich noch gesund war.
Warum? Das kann ich mir nur damit erklären, dass Gesunde sich sowas einfach nicht vorstellen können. Ihre Autonomie soweit beschnitten zu sehen auf Grund einer Erkrankung, dass sie vieles, vielleicht alles, nicht mehr alleine machen können. Der Horror für Menschen, die alleine und selbstständig durchs Leben gehen. UNVORSTELLBAR! Im wahrsten Sinne des Wortes.
Ist man aber, und hier kann ich nur für mich reden, betroffen, relativiert sich vieles.
Ich finde es nicht mehr schlimm, Hilfe anzunehmen. Mir gefällt es nicht, dass ich nicht immer so kann, wie ich gerne möchte, aber darüber verzweifle ich nicht. Ich finde es halt doof. Wie ein Gesunder es vielleicht doof findet, dass er kein Einrad fahren kann oder einen Salto schlagen, weil er es gerne können würde. Darüber verzweifelt er ja auch nicht.
Dabei vermeide ich, mich in Szenarien reinzudenken. Was wie laufen könnte, wie schlimm es werden könnte... all das lasse ich. Denn erstens weiß ich es eh nicht, zweitens ändere ich es auch nicht und drittens kann ich aus meiner jetzigen Erfahrung heraus sagen, dass ich bisher alles irgendwie gewuppt habe.
Als die Arme schlechter wurden, musste ich neu umdenken. Als ich mich nicht mehr alleine umsetzen konnte, auch. Mit dem Umdenken kommen natürlich auch meine Lieben und das nähere und weitere Umfeld mit ins Spiel.
Ich bin Lösungsorientiert und schaue, wie ich meine Situation verbessern kann. Dazu gehört nun seit einigen Wochen, dass ein Pflegedienst über Tag kommt um mir beim morgendlichen Fertigmachen und über Tag beim Thrönchen besteigen zu helfen. Ist Thompson da, übernimmt er es. So wie das auf-die-Couch, von-der-Couch, ins-Bett, aus-dem-Bett.... Was aus dem Schrank holen, beim Kochen was umrühren... und tausend andere Sachen, die ich nicht mehr allein kann.
Auch Pascal packt mir an und wenn Jackson wieder im Lande ist, sie sicherlich auch.
Dann meine lieben Nachbarn, meine Freunde, alle helfen wo sie können.
Ganz klar, Thompson hat den Löwenanteil.
Natürlich bin ich super dankbar dafür, dass er da ist und mir hilft! Und dass wir dabei auch immer noch glücklich und zufrieden sind.
Aber genauso wenig, wie ich mir Gedanken über das was kommt, mache, mache ich mir auch keine über "was wäre wenn..." Auch das bringt nichts.
Wenn was eintritt, kümmere ich mich drum. Das reicht. Und wie ich eingangs schon erwähnte: Es geht immer irgendwie weiter.
Das möchte ich Euch als Trost mitgeben, wenn ihr mal wieder vor der Zukunft zittert.
Egal aus welchem Grund.
Und ich habe die Bitte:
Schaut mich nicht an, als sei ich dem Tod geweiht. Das sind wir alle. Der eine früher, der andere später. Schaut mich auch nicht an, als sei ich die Reinkarnation Supermans. Bin ich nicht.
Schaut mich an, wie ihr Gesunde anschaut.
Denn auch die benötigen mal Hilfe. Und da verdunkeln sich Eure Gedanken auch nicht und das "So möchte ich nicht leben" zieht auf.
Der vermeintlich Gesunde hat bestimmt auch die ein oder anderen Packen, die ihr nicht kennt. Und die ihr vielleicht auch nicht haben möchtet. So möchtet ihr vielleicht auch nicht leben. Aber da sie nicht so offensichtlich sind, sind sie eben nicht eurem Urteil "ausgeliefert". Und vielleicht oder ganz bestimmt möchte ich eure Probleme nicht haben und bin mit meinen ganz zufrieden.
(Auch gerne genommen der Satz: "Aber wenn ich dich dann sehe, dann denke ich mir, wie klein meine Probleme im Gegensatz zu deinen sind."
Na, vielen Dank für dieses Statement! Was sagt ihr mir denn damit? Dass ich so horrende Probleme habe? Dass jedes Problem durch meine in den Schatten gestellt werden? Wenn ich sowas höre, fühle ich mich gleich schlechter, auch wenn ihr mir vielleicht damit Respekt zollen möchtet. Ich darf euch sagen, das geht nach hinten los... Danke also für den Verzicht eines solchen Statements.)
Ich weiß sehr zu schätzen wenn mir unvoreingenommen begegnet wird und meine Behinderung nicht im Vordergrund steht, sondern meine Persönlichkeit. Das reicht.
Vielen Dank!
So möchte ich gerne leben. :-)
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