Auschwitz 2, Birkenau


Die Führung durch das Konzentrationslager Auschwitz 1 dauerte etwa 2,5 Stunden. Dennoch erschien es uns, als seien wir durchgerannt. Es hätte so viele Stationen gegeben, die man einfach länger auf sich hätte wirken lassen müssen. Uns fehlte eine Verbindung. Wir kamen uns vor wie Zuschauer bei einer Reality-Sendung. Unser Guide hatte eine Menge an Daten und Fakten erzählt, einzig, die Einzelschicksale kamen zu kurz. Was sagt einem die Zahlt 1,1 Millionen Tote? Das kann kein Verstand erfassen. Hinter dieser Zahl standen 1,1 Millionen Einzelschicksale: Männer, die ihre Ehefrauen verloren haben, Mütter deren Kinder getötet wurden, Mädchen und Jungen die ihre Eltern nie mehr wiedergesehen haben. 1,1 Millionen mal Todesangst und das nackte Grauen.

Als wir wieder am Eingang angekommen waren, sagte der Guide, dass wir nun mit einem Shuttlebus zum Lager Birkenau fahren würden. Ich fragte, ob das mit dem Rollstuhl klappt und er antwortete, dass er es hoffe. Das brachte mich auf die Idee, lieber unser Auto zu nehmen. Und das taten wir auch. Er riet uns, den Parkausweis vorzuzeigen, so könnten wir dort am Eingang auf dem Mitarbeiter-Parkplatz parken. So sind wir hingefahren.

Dort angekommen war ein Parkplatzwächter erster Güte am Absperrband. Er sprach, logisch, polnisch, war um die 60 und hatte überhaupt keinen Bock sich die Mühe zu machen uns zu verstehen. Auch nicht auf Englisch. Er wedelte mit den Armen, schrie irgendwas und hielt das Absperrband fest. Tja… nach einigem Weiterwedeln, bei dem ihn der hochgehaltene Parkausweis nicht die Bohne interessierte, schaute er auf den Rücksitz unseres Wagens und erblickte den Rollstuhl. AH! Jetzt durften wir passieren.

 

Als wir ausgeladen hatten, kam auch unsere Gruppe des Weges und weiter ging es.

Hier sah es so aus, wie ich es mir vorgestellt hatte. Das lässt darauf schließen, dass dieses Lager weitaus mehr im Fernsehen gezeigt wird als das erste. Die Schienen, die durch ein großes Steintor führen und viele hundert Meter weiter im Lagerinneren enden, waren ein mahnendes Begrüßungskomitee.

Es ist ein sehr beeindruckendes Bild. Hier, an der Rampe im Innern des Lagers, wurden die Selektionen vorgenommen. Während aus den Wagons des ersten Zuges die Menschen rausgetrieben wurden, warteten manchmal 3 oder 4 weitere Züge voller Menschen.

Sie wurden von SS- Wachen oder Ärzten gemustert und mussten auf der Rampe nach links oder nach rechts gehen. Wer nach links ging, ging sofort in den sicheren Tod.

 

Wir gingen den breiten Weg entlang, den sie auch genommen haben um zu den Gaskammern zu gelangen. Viele hundert Meter im Lagerinnern sah man ein Haus stehen. Das war die Kommandantur. Und die war erst die Mitte des Lagers. Unfassbar wie riesig es war. Nebeneinander aufgereiht die Baracken, die aus Pferdeställen gebaut wurden, komplett ohne Isolierung, sogar unten offen. Hier mussten Menschen im tiefsten Winter und in sengender Hitze leben. Zu dritt in einem Bett, weil der Platz nicht ausreichte.

Wir gingen ganz bis zum Ende der Schienen. Hier war links und rechts die Ruine der Krematorien, die die Deutschen vor der Befreiung des Lagers durch die rote Armee gesprengt hatten. Hier befindet sich auch ein Mahnmal. In den Sprachen der Nationalitäten der Gefangen steht auf den Tafeln: „Dieser Ort sei allzeit ein Aufschrei der Verzweiflung und Mahnung an die Menschheit. Hier ermordeten die Nazis etwa anderthalb Millionen Männer, Frauen und Kinder. Die meisten waren Juden aus verschiedenen Ländern Europas“.

Auch hier war es mit dem Rollstuhl sehr schwierig, aber möglich. Es half mir ein Herr, die großen Stufen des Mahnmals hoch und runter, der Weg rumpelte genauso wie der im anderen Lager. Als wir vom Mahnmal zurückgingen, raschelte es laut. Mein Kleiderschutz, der einem Radkasten gleich am Sitz des Rollstuhls angebracht ist, hatte sich von seiner Befestigung verabschiedet und rutschte nun über den Reifen. Kein Wunder. Ich hatte schon ein wenig Sorge, dass mein Rollstuhl noch komplett auseinander fallen würde.

Jackson hatte aus der Erfahrung im ersten Lager heraus, beschlossen, erstmal mit dem Guide mitzugehen. Sie schob mich und hörte zu. Fotos auch noch zu machen war ihr zu viel, sie konnte dadurch noch weniger aufnehmen. Sie entschied, dass sie später nochmal zurückgehen wollte um zu fotografieren. So musste ich nicht alleine fahren und konnte meine Radkappe festhalten. Keine Lösung auf Dauer.

Am Eingangstor angekommen hielten wir uns links, wo es zu den Baracken ging. Hier wurden uns die Schlafplätze dieser armen Menschen gezeigt. Und das, was man als Toilette verstehen sollte. Zwei lange Mauern nebeneinander, mit ca. 80 runden Löchern. Hier mussten sie nebeneinander sitzend ihre Notdurft verrichten. Das auch nicht dann, wenn sie mussten, sondern zu festgelegten Zeiten. Ich dachte mit Schaudern an meine Darmgrippe…

Der Guide erzählte, dass die Leute aus dem Dorf, die am Anfang nach der Befreiung in die Baracken kamen, viele Tage nichts essen konnten, so furchtbar war der Anblick darin gewesen. Wenn es die sogenannte Blocksperre gab, durfte niemand aus seiner Baracke raus. Egal, ob er musste oder nicht.

Blocksperre gab es unter anderem immer dann, wenn neue Menschen ins Lager kamen. So sahen die Insassen nicht, dass diese Menschenmengen ins Nirgendwo verschwanden, klar, sie wurden zum größten Teil ja sofort in die Gaskammern geschickt. Und die Neuankömmlinge sahen nicht, dass all die Baracken schon voll waren. Sonst hätten sie sich womöglich gefragt, wo sie noch hinsollen. Und so wurden Panik und Aufstände vermieden.

Auch hier ging es recht zügig durch das Lager. Die angesetzten 3,5 Stunden für die Führung waren auch um.

 

Aber jetzt hatten wir den Vorteil, dass wir nicht mit zurück zum Bus mussten. So konnte Jackson in Ruhe Fotos machen. Ich verzichtete auf eine weitere Ruckeltour und wartete unter dem Torbogen. Dort reparierte ich meine Radkappe. Das Wetter war dem Ort entsprechend, diesig, nieselig und kalt.

Ich war Zuschauer meiner selbst, das war alles eine Menge an Info und Eindrücken. Ich war tutto kompletto platt.






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