ALS


Ebenfalls im April hatte ich einen weiteren Untersuchungstermin in der Uniklinik Aachen. Mein Neurologe hatte die Idee. Er hatte von der dort behandelnden Ärztin viel Gutes gehört und versprach sich von einem Termin dort weitere Aufklärung. Der erste Termin war im Oktober 2014 gewesen. An diesem Tag bin  ich noch alleine mit dem PKW hingefahren. Da ich zu diesem Zeitpunkt noch keinen Behinderten-Parkausweis oder auch nur eine Parkerleichterung hatte, musste ich mir ganz normal einen Parkplatz suchen. Da ich nicht die einzige war, habe ich einen gefunden, der einige hundert Meter vom Eingang entfernt war. Ich habe gedacht, ich werde im Leben nicht den Weg dorthin schaffen. Was war das anstrengend! Man kann es gar nicht beschreiben. Es war so, als müsste ich steil bergauf gehen und das über eine lange Strecke. Ich dachte ehrlich, ich breche am Eingang zusammen. Und dann musste ich auch wieder zurück. Habe es aber geschafft.

Die erste Untersuchung war mehr so ein: mal gucken. Ich konnte ja noch gehen, musste dies und das heben und dann wurde noch Blut abgenommen und ich wurde mit einem neuen Termin entlassen, an dem (mal wieder) eine Nervenmessung angedacht war.

Zu diesem Termin habe ich dann lieber Thompson mitgenommen. Erstens fand ich Autofahren langsam immer anstrengender und zweitens konnte ich so am Eingang aussteigen und er suchte einen Parkplatz. War aber nicht nötig, denn diesmal fanden wir einen in dessen Nähe. Außerdem war ich mittlerweile mit Stock unterwegs, der mich gut stütze.

Die Uniklinik Aachen hat was von einem riesigen Fabrikgebäude, total futuristisch. Und was mich am meisten stört ist, dass es innen kein Tageslicht gibt. Keine Fenster. Ob das in den Patientenzimmern anders ist, weiß ich nicht zu sagen, aber die Untersuchungsräume, die Flure, alles war in Neonlicht getaucht und in einem wirklich hässlichen 70-er-Jahre-Grün gestrichen. Überall unter den Decken verlaufen dicke Stahlrohre, wohl die Belüftung, die eben nicht in einer Zwischendecke verdeckt war. Was die Klinik noch mehr zu einer Fabrikhalle macht. Dann laufen da eine Menge Studenten rum, die mit Verlaub, den Eindruck erwecken (wollen), die Herrscher der Welt zu sein. Sehr wichtige Menschen, die die Welt in ihren Händen halten, immerhin in einem Alter von ca. 25. Da geht noch was. Ihr merkt: Diese Klinik ist nicht meine liebste. Aber um der Ärztin willen, die ja nun mal eine Expertin auf meinem Gebiet zu sein schien, habe ich mich dem ergeben.

Die Ärztin ist sehr nett gewesen, sie nahm sich Zeit. Zuerst war also die Nervenmessung dran. Einmal komplett von Kopf bis Fuß. Mit Nadel in den Muskel pieksen und Elektroden und was weiß ich, was noch. Dann noch Lungenfunktion.

Danach kam das Gespräch.

Sie ist Belgierin und hat einen netten französischen Akzent. Damit erklärte sie, dass Motoneuronen im Kopf und im Rücken sitzen und dass das im Rücken angegriffen ist. Sie ließ aber wenig Zweifel daran, dass sie damit rechnete, dass auch das im Kopf angegriffen ist. Sollte es so ein, handelt es sich um die Krankheit ALS. Auf meine Nachfrage hin, sagte sie aber auch, dass aktuell kein Hinweis darauf bestehe, dass das erste Motoneuron beschädigt sei. Und der Lungenfunktionstest war auch normal, wie auch die Nervenmessungen im Oberkörper, Hände, Arme, etc. Aber das schien für sie nur eine Frage der Zeit zu sein, bis es sich ändert. Wenn einem so wenig Raum für Hoffnung gelassen wird, ist das, gelinde ausgedrückt, sehr schwer zu verarbeiten. Wir leben doch von Hoffnung. Und was hat ein Arzt davon, diese zu zerstören? Klar, ich bin ein Freund der offenen Worte, aber wenn es noch nicht dran ist, muss man ein solches Horrorszenario nicht als Gott gegeben angeben.

Das war mein absolutes Schreckgespenst. Ich sah sofort Stephen Hawkin vor mir. So sollte ich enden? Thompson und ich sahen uns recht geschockt an. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass sie mir etwas von Heilungschancen erzählt. Aber die Diagnose war nun auch nicht das, was ich hören wollte.

Sie hatte eine Menge Infomaterial auf ihrem Schreibtisch liegen, das sie uns mitgab. Und Tabletten, die den Verlauf zumindest verlangsamen können, wenn auch nicht heilen. Und das war es dann. Schluck.

Wir sind dann erstmal raus, haben nicht viel gesagt. Ich hab direkt eine Tablette genommen, man kann ja nicht früh genug anfangen, ne? ;-)

 

Und dann sind wir zu einem Badausstatter gefahren und haben uns Sanitärartikel angesehen, die wir in unser neues Häuschen einbauen wollten. Die Infobroschüren habe ich auf die Rücksitz-Bank gelegt. Nein, ich wollte nicht darüber nachdenken und schon gar nicht darüber lesen, was mich alles erwartet. Danke, reicht.

Das Bad war noch mit Duschwanne zum Reinklettern und Trennscheiben, wie man Bäder so kennt. Das wollten wir direkt barrierefrei umbauen lassen. Schien ein guter Gedanke zu sein. Auch ohne die Krankheit, denn man wird ja nicht jünger.

Im Hinterkopf spukte nun eine Diagnose, die es erst einmal zu verarbeiten galt. Wir waren sprachlos. Das haben wir dann erstmal auch gemacht. Nicht drüber gesprochen. Wir mussten es erstmal jeder für uns sortieren.

Auch jetzt, wenn ich drüber schreibe, noch immer mit völlig funktionstüchtigem Oberkörper, wird mir eng ums Herz. Das Damoklesschwert wurde im April 2015 über meinem Kopf aufgehängt und baumelt seither da rum.





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