Kapitulation


Ab März ging ich dann wieder arbeiten. Ich hampelte mich so gut es ging durchs Arbeits-Leben. Meist machte ich Arbeiten, die stationär waren, wie Kassieren oder in der Reserve Ware zum Versenden fertig machen. Zu der Zeit hatten wir eine Menge davon, sodass mir die Arbeit nicht ausging. Dort konnte ich mich setzen und musste nicht so viel laufen. Das kam mir sehr entgegen. Hinzu kamen noch die ein oder andere Bürotätigkeit. Mein Kopf beruhigte sich tatsächlich so langsam. Es war auszuhalten.

Wir hatten auch ein Distrikt-Meeting mit Übernachtung. Auch hier schlug ich mit meinem Krückstock auf. Ich war keine von allen, ich war die Kranke. Man merkt es sofort. Man wird anders behandelt. Ich glaube, niemand macht das bewusst. Irgendwie setzt ein Anzeichen von Schwäche, wie es ein Stock und die damit einhergehende Behinderung nun mal signalisiert, etwas bei  den Menschen frei. Sie gehen einfach nicht mehr normal mit einem um. Und hinter meinem Rücken spürte ich die Unsicherheit, die Fragen, was wohl aus mir werden wird, wie das wohl weiter geht und so weiter und so fort. Das ermüdet und strengt an. Ich versuchte mir so wenig wie möglich anmerken zu lassen.
Meine Kolleginnen im Geschäft waren bemüht mich zu unterstützen. Sie liefen oft für mich, um mir Wege zu ersparen und nahmen mir einen Haufen Arbeit ab. Ich konnte ja nichts mehr tragen, keine schweren Karren bewegen, ich war 50% dessen, was sie von mir kannten. Aber sie bemühten sich redlich. Danke euch dafür!

Bild: C&A Team
Ein Teil meines Teams am Tag der Wieder-Eröffnung im März 2014

Es gab auch eine Menge Stammkunden, die mich fragend anschauten, wenn ich mit Stocki durch die Gegend humpelte. Gerne habe ich mir die Mühe gemacht, den fragenden Blicken zu begegnen und zu erzählen was ich wusste. Viel war es ja nicht. Diese Menschen waren ehrlich interessiert an meiner Geschichte, sie wünschten mir alles Gute und dass ich bald wieder gesund werden möge. Sie sprachen ihre Sorge offen aus und fanden es allesamt doof, dass mich sowas erwischt hatte. Wirklich ein schönes Gefühl. In einer Kleinstadt wie dieser kennt man sich halt nach einiger Zeit, und auch schon als Gesunde habe ich mit der ein oder dem anderen immer mal gerne ein Schwätzchen gehalten. So gab es eine Verbindung, die mir sehr gut getan hat. Ich fühlte mich sehr wohl dort, wenn auch mein Fortkommen wirklich beschwerlich war.
Im April spürte ich aber, dass es ein Ausmaß annahm, das ich nicht mehr bereit war, zu (er-)tragen. Ich war an der Kasse, hatte mir schon eine Stehhilfe genommen, weil ich kaum noch selbstständig stehen konnte. Aber die Kassen sind nun mal nicht für Mensch gemacht, die statisch an einem Platz stehen. Man muss die Ware annehmen, zusammenfalten, kassieren, einpacken, ausgeben. Das geht nicht alles vom Sitz einer Stehhilfe aus. Und man braucht beide Hände, kann sich also auch nicht abstützen. Dann muss man auch noch immer mal Ware aus dem Schrank hinter einem holen, bzw. einen Umtausch reinhängen. Es fiel mir sehr schwer, das alles zu händeln. Ob es mir passte oder nicht, ich musste kapitulieren. Nach diesem Erlebnis gab ich mir gegenüber zu, dass ich den Job in meiner jetzigen Verfassung körperlich nicht mehr schaffen konnte. Ich ließ mich wieder krankschreiben. Es war der 22.04.2015.

Dies sollte der letzte Tag gewesen sein, an dem ich in meiner Filiale gearbeitet habe.




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