Mitgefühl?


Und wieder eine Blüte aus Facebook. http://www.sat1.de/tv/fruehstuecksfernsehen/video/1-in-nur-wenigen-monaten-so-zerstoerte-als-das-leben-dieses-mannes-clip

Dieser „Sendehinweis“ wurde in einem Forum gepostet, nennt sich „Menschen mit Behinderung“. Dazu die Überschrift: Frühstücksfernsehen. In nur wenigen Monaten: So zerstörte ALS das Leben dieses Mannes!

Darunter zwei Bilder. Eines zeigt einen fast schon Bodybuilder zu nennenden Mann im kernigen Alter, daneben ein Bild eines Mannes im Krankenhausbett. Er wird mit beatmet und starrt an die Decke. Nichts mehr zu sehen von den Muskeln.

Klicke ich auf den Link, werde ich zum Video weitergeleitet, das, wie sollte es anders sein, mit einem Werbespot startet.

Nein, ich habe es mir nicht angesehen. Ich brauche sowas nicht. Ich bin immer noch in der Möglichkeit gefangen, diese Krankheit zu haben, so spare ich mir solche Ausblicke auf meine mögliche Zukunft. Aber warum schauen es sich andere Menschen an?

Ich habe den Post, zugegebenermaßen etwas provokativ, kommentiert: „Ich frage mich ja immer, was man davon hat, sich das Elend anderer Leute anzusehen. Ich ziehe mich damit nur runter. Und das brauche ich nicht.“

Und bekomme als Antwort: „Mitgefühl heißt das Zauberwort...“

Mitgefühl?

Wenn ich einem Menschen bei seinem Verfall zusehe? Wenn er vor der Kamera stirbt? Wenn er sich nicht mehr bewegen kann und alles ganz Sat1-like aufbereitet wird, was er doch für ein kraftvoller, glücklicher, blablabla…-Mann war? Und nun, seht ihn euch an, ein Hauch von nichts, wartet auf seinen Tod!

Wenn ich mir sowas also ansehe, zeige ich Mitgefühl? So ähnlich, als wenn ich in den Zirkus gehe um mir die armen Tiere dort anzusehen, wie eng sie doch gehalten werden, und so wenig Bewegung, womöglich sind sie noch Gewalt ausgesetzt…, ganz furchtbar!

Ich bin kein empirischer Forscher und ich habe mir das Video nicht angesehen, darum kann ich nicht sagen, ob es überhaupt mit seinem Einverständnis erstellt worden ist. Vielleicht hat er einem vertrauten Menschen eine Vorsorgevollmacht ausgestellt und dieser findet auch, dass die Welt aufgeklärt werden muss über diese furchtbare Krankheit. Und dann hat SAT1 sicher auch noch seines dazu getan, von ein wenig finanzieller Zuwendung mal ganz abgesehen.

Alles nur spekulativ. Aber wenn es mich so erwischen sollte, dann werde ich sicher nicht ins Fernsehen gehen. Ich werde mich zurückziehen, meine Privatsphäre wahren und habe keinen Bock auf das „Ach wie furchtbar!“ der mitfühlenden Zuschauerschaft. Von Tribünenplätzen lässt sich ja so schön schaudern.

 

Von solchen Fernseh-Bildern, und dann sicher nicht bei RTL, SAT1, Pro7 und wie sie alle heißen, verspreche ich mir nur etwas, wenn sie eine Botschaft weitertragen. Wäre z.B. durch seine Raserei im Straßenverkehr ein Unfall geschehen, der ihn vom Hals abwärts gelähmt hat, und dieser Mensch möchte seinen Mitmenschen mit auf den Weg geben: „Hey, fahrt vorsichtig, das ist es nicht wert!“, dann kann ich einen solchen Fernsehauftritt durchaus gutheißen. Und er muss vom Protagonisten gewollt sein.

Aber was soll uns ein ALS-Kranker auf den Weg mitgeben? Passt auf, dass ihr gesund bleibt? Ah, ja, machen wir.

Maximal wäre es noch eine Möglichkeit, die Krankheit in den Focus zu holen und um Spenden zu bitten damit Forschung vorangetrieben wird. Denn treffen kann es jeden. Das ist mal klar. Wollen wir das Beste annehmen. Aber Mitgefühl, nein, das findet hier keine Daseinsberechtigung. Schaulust schon eher.

So möge auch jeder für sich entscheiden, wie sein Mitgefühl aussieht.






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