Tag 3, Bergmannsheil
Dass sich die Ereignisse hier jetzt überschlagen, könnte ich nicht sagen. Ganz im Gegenteil, es ist ganz schön öde hier. Und dass das Fragezeichen über mir schwebt, ob die ganze Tropferei denn überhaupt was bringt, ist jetzt auch nicht so grandios.
Viel schöner wäre es ja, ich würde am Morgen wachwerden und die Füße ließen sich wieder bewegen. Was wäre das cool. Aber wohl auch zu einfach. Und einfach kann ja bekanntlich jeder. Jetzt ist es 9,20 Uhr und ich bin wieder angedockt. Das lässt darauf schließen, dass ich nach dem Mittag „durch“ bin. Da kann ich ja noch richtig was unternehmen. Spaß.
Durch den Zugang in der linken Armbeuge bin ich schon was gehandicapt. Aber über die Zeit stört er eher weniger, tut vor allem weh, wenn die erste Flasche, die dann aus der Kühlung kommt, angeschlossen wird. Dann brennt es und drückt. Kann ich aber auch wieder gut regeln, indem ich den Zufluss einfach was verringere, sodass es langsamer eintropft. Jow, so sitze ich nun bei geöffneter Balkontüre mit Blick auf Bochum im Bett und tippe. Grade war der Chef da. Der Herr Professor. Auch so eine Nebenwirkung der Krankenhaus-Zusatz-Versicherung. Ich frag mich ja immer, was er so zu sagen hat. Und ich glaube, das fragt er sich auch. Steht da so ein wenig verloren an meinem Bett, blickt auf meine Füße und ich habe den Drang zu sagen, er muss wirklich nicht jeden Tag kommen, es ändert sich hier ja nix. Aber dann kann er ja auch nix abrechnen und so eine Zusatz-Versicherungspatient bringt halt Kohle. Also darf er weiter kommen, ist ja auch nicht lange. ;-)
Neben ihm der behandelnde Arzt, der mich vorher schon angestöpselt hat. Witzig ist auch, wie anders sie sich geben, wenn der Chef danebensteht. Aber das ist wohl überall der Fall. Als er zum Anstöpseln kam, war er viel aktiver, weniger nickend. Aber Chef is Chef. Wie im wahren Leben halt. Wobei ich immer den Drang habe, Chefs nicht auf ein Podest zu stellen. Das müssen sie sich verdienen. Ein Titel alleine macht noch keinen fähigen Vorgesetzten. Aber wem erzähle ich das. Die unfähige Variante kennen wir alle. Wobei es ja auch nicht immer so einfach ist, „fähig“ zu sein. Denn wer definiert das? Für mich ist Standing wichtig. Rückgrat zeigen. Auch mal die weniger populäre aber wahrere Meinung zu vertreten. Wohl wissend, dass das einiges abverlangt. Ich weiß, wie es ist, in Meetings zu sitzen, bei denen sich alle vor Begeisterung über die neuen Ideen der Geschäftsleitung auf die Schulter klopfen und enthusiastisch auf Umsetzung drängen, während ich dasitze und mich frage, ob ich jetzt hier wirklich die einzige bin, die das Kacke findet. Um das rauszufinden, muss man diese Frage aber laut stellen. Was ich dann, so vorsichtig wie möglich formuliert, auch getan habe. Und wenn ich Pech hatte, war ich tatsächlich die Einzige. Tja, oder die anderen trauten sich halt nicht. Aber das hört man dann später beim zwanglosen Beisammensein während einer Pause, wo sie sich plötzlich alle outen und ich mir denke, dass das nun keinen weiterbringt. Sowas hat und wird mich immer nerven. Muss es jetzt aber nicht mehr. Yeah!
Ich habe meine Chefs immer in Frage gestellt, zumal ich ein gutes Gespür dafür habe, wie sehr sie selbst an das glauben, was sie da grade verzapfen. Und dann neige ich auch gerne mal dazu, ein wenig zu bohren. Und das mögen Chefs nicht so gerne. Ich, selber Chef, auch nicht. Aber ich möchte von mir behaupten, dass ich meinen Mitarbeitern gegenüber ehrlich war. Authentisch. Bis auf eine Ausnahme, von der ich aber nicht berichten werde. Nur soviel: Es hat mir nicht gefallen. Die Wahrheit beugen ist nicht meins.
Zurück zum Professor. Immerhin erwartet er keine Wunder und auch nicht, dass ich welche erwarte. Er meinte, es müssen wenigstens noch 7 Tage ins Land gehen um zu erkennen, ob die ganze Tropferei auch was gebracht hat. Das nimmt mir den Erfolgsdruck. Sehr schön. Keiner erwartet, dass ich Montag hier rausmarschiere. Sieht auch wirklich nicht danach aus.
Fläschchen 2 ist angeschlossen, die Sonne ist rausgekommen. Unser Zimmer liegt zur Nordseite, so haben wir den ganzen Schatten und sehen die Sonne nur. Sehr angenehm. Da es sich bei diesem Krankenhaus um eine führende Unfallklinik handelt, bekommen wir oft Besuch von einem Hubschrauber, der Menschen bringt, die wenige Stunden vorher noch gesund und munter waren und sich sicher nicht vorgestellt habe, dass sie nun Luftfracht auf dem Weg in den OP sind. Die am Morgen noch normal gefrühstückt haben, aus dem Haus gegangen sind und deren Leben nicht den für den Tag geplanten Weg eingeschlagen hat, sondern sie so richtig aus der Bahn geworfen hat. Und mit ihnen die sie liebenden Angehörige und Freunde.
Ich drücke ihnen von Herzen die Daumen, dass sie all das was kommt gut meistern werden!
In diesem Sinne: Genießt euren Tag, regt Euch nicht über Peanuts auf und bewahrt euch das gesunde Urteilsvermögen, das euch hilft, festzustellen, was alles Peanuts sind. Meiner Meinung nach fallen eine Menge Aufreger darunter.
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